Mein Wohnviertel (xiao qu)
03/04/03
An allen breiteren Straßen der Stadt stehen sie. Große Werbeplakate
für "Peninsula Garden" oder "Brilliant City"
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. Der Bauboom hat die Stadt im Griff
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In jedem Stadtviertel sprießen imposante neue Wohnviertel aus
dem Boden. Gebaut wird meist so, dass einige Hochhäuser bereits
bewohnt werden, während im Nachbargebäude noch die Hämmer
fliegen. Und das Tag und Nacht.
Wohnviertelkommittees führen ein engmaschiges Verwaltungsregiment.
Diese Gremien, die unterste Stufe in der politischen Hierarchie, bestehen
aus Mitgliedern der Kommunistischen Partei Chinas. Deren Sekretäre
werden auf zwei oder vier Jahre von den Bewohnern des Wohnviertels gewählt.
Sie üben also eine repräsentative Funktion aus. Ihren Lohn
beziehen sie nicht mehr allein vom Staat wie es bei Kadern der Fall
ist. Sie erhalten rund 100 Yuan (ca. 11 Euro) im Monat von der Stadtregierung.
Zusätzliches Einkommen haben die Kommitteemitglieder durch einen
fest geregelten Satz, den die Viertelbewohner zu gleichen Teilen tragen
und durch die Erlaubnis, ein eigenes Geschäft führen zu dürfen.
"Da kommen ganz angenehme Summen zusammen", meint Schulleiter
Su, ohne genaue Zahlen zu nennen.
Die Aufgaben des Komitees
in
diesem Wohnkomplex mit etwa 1000 Wohnungen bestehen
vor allem in der "allgemeinen Regelung des friedfertigen Lebens".
Wichtige Bestandteile dessen sind unter anderem Veranstaltungen zur
Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Bei den so genannten
Kepu-Aktionen (
kexue, Wissenschaft und
puji, popularisieren)
werden allgemeine Hygienehinweise ausgeteilt, Schilder mit Maßnahmen
zur Schädlingsbekämpfung aufgestellt
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und regelmäßige Informationstreffen
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veranstaltet. Eine weitere Aufgabe ist die Organisation von Nebenerwerbstätigkeiten
für finanzschwache Familien. So verdienen sich manche pensionierte
Bewohner ein Zubrot, indem sie bei einer anderen Familie kochen oder
sich auf Schuhreparaturen spezialisieren. Alles Arbeiten, die sie ohne
Mithilfe des Parteisekretärs in einem
xiao qu selbständig
kaum etablieren könnten.
Anwälte wie Su Bin, die Wohnviertel-Friseurin oder andere Bewohner
sehen in ihrer Residenz ein großes Potenzial für die Entwicklung
des chinesischen Demokratiemodells. So wie Shenzhen, die Sonderentwicklungszone
in der Nähe Hongkongs, zuerst ein abgeriegeltes marktwirtschaftliches
Experiment gewesen ist und sich anschließend über ganz China
ausgebreitet hat, so hoffen meine Gesprächspartner auf eine ähnliche
Entwicklung in Bezug auf demokratische Wahlverfahren. "Was hier
in dieser Residenz anfängt, könnte sich bald auf das Straßenkomitte
und das Stadtviertel erweitern", meint meine Haarspezialistin überzeugt.
Das Straßenkomittee (
jiedao banshichu) und die Stadtviertelregierung
(
qu zhengfu) sind die beiden nächst höheren administrativen
Einheiten einer chinesischen Stadt. Mein Einwand, dass wirtschaftliche
und politische Entwicklung in China seit langem weit auseinanderklaffen,
kann ihre Hoffnungen nicht bremsen.
Erstaunlich einmütig preisen sowohl die chinesische Kundschaft
als auch die Angestellten den neuen Staatspräsidenten Hu Jintao.
Das sei ein Mann, der mit allen Problem fertig werden könne. Außerdem
sehe er (im Vergleich zu seinem Vorgänger Jiang Zemin) gut aus
und habe Ahnung, was sich in den Hinterlandprovinzen abspiele. Ein interessantes
Kurzporträt des neuen mächtigen Mannes in Peking.
Es bleibt allerdings weiterhin die Frage, ob Hu willens ist, den ohnehin
schon gelockerten Griff der Partei weiter zu lösen. Die Gefahr
eines fortschreitenden Kontrollverlustes ist nach wie vor da. Die Bewohner
von Zhongshan North Road 2196 hoffen weiter.
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