"Caipan, women zhidao ni de chezi zai nar."

 
Sonntag, 15.00 Uhr Metrohaltestelle Hongkou-Fußballstadium. Gerade hat der Einlaß begonnen und die Menge (später wird man von 30.000 sprechen) quetscht sich erstaunlich brav auf die Tribünen. Hier und da ist eine 50-Cent Tröte zu hören, die fliegende Händler lautstark an den Mann bringen wollen. Vom Klang her ähnelt sie stark einem sterbenden Eichhörnchen. Das macht aber nichts. Denn zwei Stunden später werden wir Helden sein.

Shanghai gegen Dalian, Shenhua gegen Shide. Der Dritte gegen den Ersten. Die Spitzenbegegnung der Fußballwoche in Chinas Bundesliga. Mittendrin drei Deutsche. Zwei sitzen auf der Tribüne, der dritte heißt Jörg Albertz. Der 32-jährige Mittelfeldspieler vom Hamburger SV war zu Saisonbeginn im März ablösefrei zu Shanghai Shenhua gewechselt. Und leistet in China wahre Pionierarbeit.

Beeindruckend ist die friedliche Stimmung im Stadion. Shenhua-Fans in Tiefblau sitzen Shide-Fans in Hellblau gegenüber. Alternde Wachmänner machen uns freundlich darauf aufmerksam, dass wir nur die Becher des offiziellen Cola-Sponsors mit ins Stadion nehmen dürfen. Zaghafte Gesänge ertönen, dann der Anpfiff.
Das Spiel beginnt hektisch. Die Shanghaier Mannschaft ist jung, immer wieder entstehen unnötige Lücken im Mittelfeld und bieten dem Gegner gefährliche Chancen. Das 1:0 für Shanghai kommt früh (19. Minute) und unverdient. Dem Torschuß geht ein grober Torwartfehler des Gegners voraus. Mit diesem knappen Vorsprung geht es in die Pause.
In der 51. Minute legt Albertz auf den vorwärts stürmenden Petkovic auf, der mit links unhaltbar zum 2:0 einzirkelt. Der Deutsche ist der ruhende Pol der Mannschaft. Während seine Mannschaftskollegen mitunter Kampfsport mit Fußball verwechseln, schiebt er die Kugel gelassen übers Feld. Wenn der ehemalige Nationalspieler den Ball hat, kommt zunächst eine Handbewegung - „Ruhig, Jungs“.
Der siebenfache Meister aus Dalian, mit vier Ausländern im Team, steckt nicht auf und erzielt verdient den Anschlusstreffer. Spätestens jetzt hält es die Fußballfachkommentatoren aus Deutschland nicht mehr auf ihren Sitzen. Als wenig später Dalian den Ausgleichtreffer erzielt, gibt es kein Halten mehr. Wild gestikulierend brüllen wir Tipps auf den Rasen, zerbeißen die Strohhalme unserer Getränkebecher oder tröten, was die Trompete hergibt. Aus einer dann doch verdienten Führung wieder ein offenes Spiel werden zu lassen, tut dem erstmaligen Shenhua-Zuschauer weh.
In dieser Phase sind die eigenen Fans auf der Südkurve erstaunlich ruhig, beinahe apathisch. Artig sitzen sie auf ihren Stühlen, von einer Reihe VBA-Soldaten bewacht.


Deutsche Fußball-fans wie sie sein müssen

Dafür wir. Unsere Eichhörnchen quietschen erbärmlich. Wir ernten standing ovations der chinesischen Zuschauer. Zum sino-deutschen Kulturaustausch gehört eben auch „Schiri, wir wissen wo Dein Auto steht“ (auf chinesisch: siehe Titel). Spätestens als wir synchron Sprechgesänge anstimmen und eine ansehnliche Eichhörnchen-Baseline anblasen, müssen sich einige Zuschauer entscheiden, was sie lieber sehen wollen, das Geschehen vor oder hinter ihnen. Die Entscheidung nimmt ihnen wieder einmal Jörg Albertz ab. Durch einen schönen Pass auf Zhang Yuning ist er der Wegbereiter des Siegtreffers. Die Partie endet 3:2.

Nach dem Spiel strömen die Menschen entspannt aus dem Stadion. Die knapp 30köpfigen Fanclubs beider Seiten haben Fußball im Kopf, keinen Krawall. Im Vergleich dazu musste einen Tag zuvor in der italienischen Serie B das Spiel zwischen Avellino und Napoli abgebrochen werden, weil Hooligans das Feld stürmten und sich mit der Polizei eine Massenschlägerei lieferten. In China bleibt das trotz der Fußballbegeisterung schwer vorstellbar. Vor dem Stadion erregen wir mit den tiefblauen Shenhua-T-Shirts Aufsehen. Fototermine, strahlende Gesichter und immer wieder Jubel, sobald wir einen Sprechgesang auf Shanghai anstimmen.

Mit dem Erfolg vom Sonntag übernimmt Shenhua die Tabellenführung mit einem Punkt Vorsprung. Dalian kann sich jedoch am heutigen Mittwoch bei einem Sieg gegen Shenyang Ginde den Spitzenplatz zurückerobern.


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© oliver l. radtke 2003, letzte änderung: 09/10/03