"Was
das spielerische Niveau anbelangt, gab es einen ungeheuren
Eifer, dazu lernen zu wollen. Sie hatten jedoch keine
Möglichkeit, Jazz im akademischen Sinn eingehend
zu studieren. Das braucht man ja auch nicht unbedingt,
aber es hilft, einen Lernprozess zu organisieren.
Die jungen Leute haben ihre Ideen durchs bloße
Zuhören von CDs oder Live-Auftritten übernommen
oder gegenseitig voneinander abgespielt. Außerdem
schien mir damals und auch heute noch, dass eine Menge
Wissen fehlt über die Geschichte des Jazz von
seinen Anfängen bis heute."
Jazz
ist in Shanghai kein neues Phänomen. Von den
20er bis 40er Jahren war die Stadt das Zentrum des
Jazz in Asien. Während der Kulturrevolution war
die Musik von Davis und Coltrane als „dekadent“
verboten. Erst im Jahre 1980 versammelten sich die
Mitglieder der alten Jazz-Band im legendären
Peace Hotel erneut. Seitdem treten die mittlerweile
über 80jährigen wieder regelmäßig
in der Hotel-Lounge auf. Wegen der Musik kommt jedoch
kaum jemand dorthin. Die müden alten Herren sind
eher eine Attraktion für Touristen, die ein wenig
die Atmosphäre der 30 Jahre schnuppern wollen.
Shanghai
ist die Stadt des Geldes. Das merkt man auch beim
Jazz. Der 26jährige Coco, der als einer der wenigen
chinesischen Künstler von seinen Engagements
leben kann, weiß wie schwierig es ist, Kunst
und Kommerz unter einen Hut zu bringen. Dabei geht
es der Shanghaier Jazz-Szene im Vergleich zur Peking
noch gut.
"Zur
Zeit kommen eine Menge Künstler aus Peking nach
Shanghai, weil es in Peking keine Arbeit gibt. Es
gibt dort kaum Auftrittsmöglichkeiten, und keine
Möglichkeiten, Geld zu verdienen. In Shanghai
wiederum gibt es Orte, wo man genug Geld verdienen
kann. Viele Künstler betrachten hier ihre Aufritte
jedoch als rein geschäftliche Angelegenheit.
Nur wenige gehen wirklich mit Herzblut an die Sache
heran."
Vielleicht
fehlt ihnen der Mut, oder sie meinen, dass mit Glenn
Miller mehr Geld zu verdienen ist. Die wenigen chinesischen
Solo-Künstler halten sich meist an Standardinterpretationen
altbekannter Stücke, sagt Jazz-Sänger Coco.
"Es
gibt noch kein Musikstück, was einen spezifisch
chinesischen Stil des Jazz repräsentieren könnte.
Ich habe viele Freunde, die ihr eigenes Ding machen,
gute Sachen, wie ich finde, die aber keinen persönlichen
Charakter haben. Wenn man ihre Stücke hört,
könnte man meinen, dass habe irgendeine europäische
Band gemacht."
Erstaunlicherweise ist es eine ausländische Band,
die chinesische Klänge in ihre Stücke mischt.
Das Phil Morrison-Duo, das bereits mit Jazz-Größen
wie Dizzy Gillespie zusammengearbeitet hat, wagt den
Spagat zwischen Ost und West. Auf ihrer CD „China
Skies“ finden sich neben Schlagzeug und Trompete
auch das Streichinstrument Erhu und die Dizi, eine
Bambusflöte, wieder. Die starke rhythmische Betonung
des Jazz-Pianisten trifft hier auf die melodischere
Spielweise des chinesischen Streichers.
Mit
dieser Produktion unterstreichen die Amerikaner, dass
ihre Musik keine Grenzen kennt. Keith Williams glaubt
an die Universalität des Jazz.