Zwischen junger Kunst und Kommerz -
das alte Phänomen Jazz in Shanghai
bekommt neuen Aufwind
 
Jazz hat in Shanghai eine lange Tradition. Bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts war Jazz in Shanghai „in“. Betuchte Chinesen trafen sich mit Ausländern im Peace Hotel an der Uferpromenade der Stadt. In den dreißiger und vierziger Jahren galt Shanghai als die asiatische Hauptstadt des Jazz. Mit dem Aufstieg der Kommunisten begann der Untergang aller westlicher Unterhaltungsmusik. Erst nach dem Ende der Kulturrevolution 1976 begann sich Shanghai wieder, neuen musikalischen Einflüssen zu öffnen. Nach Jean-Michel Jarre, der 1981 als erster westlicher Musiker in der Stadt auftrat, fanden auch ausländische Jazz-Künstler ihren Weg nach Shanghai. Anfangs der 90er Jahre waren es vor allem Jazz-Musiker aus den USA, die eine Handvoll junger chinesischer Nachwuchsinterpreten beeinflussten.
Mittlerweile können einige von ihnen von ihrer Musik leben, und auch immer mehr renommierte internationale Künstler entdecken Shanghai neu.

Keith Williams und Phil Morrison sind an diesem Abend besonders gut drauf. Die beiden farbigen Künstler des Phil Morrison Duos sitzen in der Hotelbar im 40. Stock des JW Marriott und swingen, was die Instrumente hergeben. In wohl keiner anderen Großstadt der Welt finden sich so viele Hotel-Jazzbars wie in Shanghai. Im Gegensatz zu etlichen Clubs in der Stadt wird in der edlen Hotel-Lounge für ein meist ausländisches Publikum Musik gemacht, die den Namen Jazz verdient. Die meisten Bands kommen aus dem Ausland. Chinesische Profis hingegen sind selten, wie es auch keine Ausbildung zum Jazz-Musiker in Shanghai gibt.
Keith Williams, Sänger und Pianist des Phil-Morrison Duos, das 1999 erstmals aus den USA nach Shanghai kam, erinnert sich wie motiviert junge Chinesen bei ihren ersten Begegnungen waren.

"Was das spielerische Niveau anbelangt, gab es einen ungeheuren Eifer, dazu lernen zu wollen. Sie hatten jedoch keine Möglichkeit, Jazz im akademischen Sinn eingehend zu studieren. Das braucht man ja auch nicht unbedingt, aber es hilft, einen Lernprozess zu organisieren. Die jungen Leute haben ihre Ideen durchs bloße Zuhören von CDs oder Live-Auftritten übernommen oder gegenseitig voneinander abgespielt. Außerdem schien mir damals und auch heute noch, dass eine Menge Wissen fehlt über die Geschichte des Jazz von seinen Anfängen bis heute."

Jazz ist in Shanghai kein neues Phänomen. Von den 20er bis 40er Jahren war die Stadt das Zentrum des Jazz in Asien. Während der Kulturrevolution war die Musik von Davis und Coltrane als „dekadent“ verboten. Erst im Jahre 1980 versammelten sich die Mitglieder der alten Jazz-Band im legendären Peace Hotel erneut. Seitdem treten die mittlerweile über 80jährigen wieder regelmäßig in der Hotel-Lounge auf. Wegen der Musik kommt jedoch kaum jemand dorthin. Die müden alten Herren sind eher eine Attraktion für Touristen, die ein wenig die Atmosphäre der 30 Jahre schnuppern wollen.

Shanghai ist die Stadt des Geldes. Das merkt man auch beim Jazz. Der 26jährige Coco, der als einer der wenigen chinesischen Künstler von seinen Engagements leben kann, weiß wie schwierig es ist, Kunst und Kommerz unter einen Hut zu bringen. Dabei geht es der Shanghaier Jazz-Szene im Vergleich zur Peking noch gut.

"Zur Zeit kommen eine Menge Künstler aus Peking nach Shanghai, weil es in Peking keine Arbeit gibt. Es gibt dort kaum Auftrittsmöglichkeiten, und keine Möglichkeiten, Geld zu verdienen. In Shanghai wiederum gibt es Orte, wo man genug Geld verdienen kann. Viele Künstler betrachten hier ihre Aufritte jedoch als rein geschäftliche Angelegenheit. Nur wenige gehen wirklich mit Herzblut an die Sache heran."

Vielleicht fehlt ihnen der Mut, oder sie meinen, dass mit Glenn Miller mehr Geld zu verdienen ist. Die wenigen chinesischen Solo-Künstler halten sich meist an Standardinterpretationen altbekannter Stücke, sagt Jazz-Sänger Coco.

"Es gibt noch kein Musikstück, was einen spezifisch chinesischen Stil des Jazz repräsentieren könnte. Ich habe viele Freunde, die ihr eigenes Ding machen, gute Sachen, wie ich finde, die aber keinen persönlichen Charakter haben. Wenn man ihre Stücke hört, könnte man meinen, dass habe irgendeine europäische Band gemacht."

Erstaunlicherweise ist es eine ausländische Band, die chinesische Klänge in ihre Stücke mischt. Das Phil Morrison-Duo, das bereits mit Jazz-Größen wie Dizzy Gillespie zusammengearbeitet hat, wagt den Spagat zwischen Ost und West. Auf ihrer CD „China Skies“ finden sich neben Schlagzeug und Trompete auch das Streichinstrument Erhu und die Dizi, eine Bambusflöte, wieder. Die starke rhythmische Betonung des Jazz-Pianisten trifft hier auf die melodischere Spielweise des chinesischen Streichers.
Mit dieser Produktion unterstreichen die Amerikaner, dass ihre Musik keine Grenzen kennt. Keith Williams glaubt an die Universalität des Jazz.

"Bevor wir dieses Interview begannen mussten wir kein Englisch üben, weil das unsere gemeinsame Sprache ist, wir mussten nichts einstudieren, bevor wir zusammenkamen um zu reden. Dasselbe gilt für Jazz, egal ob wir in China, der Mongolei, in Schweden oder in Chile sind. Wenn Du die Sprache kennst, kannst Du zusammen spielen."

Noch wird in Shanghai alles mögliche unter dem Namen Jazz verkauft. Doch vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis genug chinesische Künstler das Esperanto des Jazz gelernt haben. Die Entwicklung der Musik-Szene in Shanghai lässt hoffen.

 
 

© oliver l. radtke 2003, letzte änderung: 22/11/03