"English for carpet rats" - Die neue TV-Show mit olr
24/03/03

Diese stumme Züchtigung aus dem Hintergrund, der Erfolgsdruck, der sich ungehemmt im ganzen Raum ausbreiten darf.
Ein kaum steigerbares Exempel hierfür ist meine TV-Englisch-Show am vergangenen Samstag. Fünfzig Kinder zwischen sechs und zehn sitzen in großer U-Formation in der Schulaula. In der Stuhlreihe hinter ihnen jeweils ein Elternteil. Die Kamera einsatzbereit, der Ausländer verkabelt, geht es in die erste Runde. Unangenehm ist nach wie vor der Anblick, wie sich junge Kindergesichter ängstlich oder verbissen zusammenziehen, um meine Frage nach dem aktuellen Wetter möglichst herausragend im Kreise der andern zu beantworten.
Die ohnehin für chinesische Verhlältnisse sehr freundschaftliche Art im Umgang mit Schülern, ihnen Zeit zu lassen und keine vorgestanzte Antwort zu erwarten, fruchtet in einer solchen Situation im Grunde gar nicht. Es überwiegt im krampfhaft nach Worten suchenden Kind doch eher das traditionelle Bild eines chinesischen Lehrers, der keinen Aufschub duldet. Zumal bereits andere Eltern ihre Söhne und Töchter von hinten anstoßen und ihnen Antworten zuflüstern, mit denen sie glänzen könnten. In einer solchen Situation hilft kein Lächeln, kein Zureden. Das aufgeregte Rauschen in den kleinen Kinderohren ist da schon viel zu laut.
Zum Schluss der Veranstaltung werden vom Moderator an die Leistungsträger dieser Stunde ein Dutzend Stifte verteilt. Als besonderes Bonbon folgen zwei Armbanduhren an die allerbesten. Einige Eltern lachen verständig, als ein paar der Kleinen einen Stift erhalten, ohne ein Wort der Veranstaltung verstanden zu haben. Als aus fünfzig Kinderkehlen unisono ein "Auf Wiedersehen, Herr Lehrer" erschallt, verabschiede ich mich in der Hoffnung, wenigstens ein bisschen von der eigenen Begeisterung für Fremdsprachen zurückgelassen zu haben.


Warum das mit der Liebe im Shanghai des 21. Jahrhunderts immer noch so eine Sache ist, und welche Probleme eine Telefonnummer verursachen kann, steht in Eintrag Nr. 8: "Chulian".


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© oliver l. radtke, 2003